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Kirchdorfer Rehr – „Was muss noch passieren, um den gesetzlichen Rahmen auszuschöpfen?“

Hannover/Barsinghausen. Der heutige Prozesstag zum Unfall am Kirchdorfer Rehr, sollte eigentlich der letzte Prozesstag werden. Doch gleich zu Beginn verkündete Richter Grote, dass es noch einen Termin für die Verkündung des Urteils geben sollte. Die Plädoyers waren aufgrund der schweren Vorwürfe entsprechend lang. Sieht die Staatsanwaltschaft weiterhin einen Mord und Beihilfe, fordert die Verteidigung hingegen einen Freispruch.

Das Gericht hatte bereits angekündigt, dass es den Mordvorwurf aus der Anklage nicht erkenne, entsprechend gingen Staatsanwaltschaft, Nebenklage und die Verteidigung in ihren heutigen Plädoyers auch kaum darauf ein. Vielmehr stand ein mögliches Kraftfahrzeugrennen im Fokus – maximale Haftstrafe von zehn Jahren sind hier gesetzlich möglich.

„Was muss passieren, um den gesetzlichen Rahmen auszuschöpfen?“

Wie bereits berichtet, hatte zunächst die Staatsanwaltschaft das Wort. Da das Gericht keine Mordmerkmale erkannte – die Staatsanwaltschaft hätte hier eine lebenslängliche Haftstrafe für E.P. gefordert – forderte die Staatsanwältin für E.P. wegen eines tödlichen Kraftfahrzeugrennens noch acht Jahre Haft und für M.S. mindestens fünf Jahre. Die Angeklagten hätten beim Einsteigen in ihre Fahrzeuge keine Mordabsichten gehabt, durch die Fahrweise aber Tote in Kauf genommen. Immerwieder zeigte die Staatsanwältin mit den Händen, wie beide Angeklagten nebeneinander herfuhren. Zeugen aus allen Blickwinkeln berichteten dies vor Gericht. Das Bedauern beider Angeklagter sei nachvollziehbar, jedoch spiele vielmehr die Entscheidung vor dem Unfall eine Rolle. „Keiner hat gebremst. Beide entschieden sich für die weitere Beschleunigung, das belegten die Zeugen, ausgelesene Daten und das Gutachten. Beide fuhren nahezu gleich schnell in die uneinsehbare Kurve.“ Auch das M.S. „nur“ Musik hörte und etwas zu schnell nach Hause fuhr, hält die Staatsanwältin für nicht glaubwürdig. „Es ist Quatsch, dass er E.P. nicht wahrgenommen haben will“, befand Staatsanwältin Hilke Markworth. Auch das E.P. nur vier Monate nach dem Unfall 35.000 Euro in einen neuen PKW investierte, anstatt in die offensichtlich zerrütteten Familienverhältnisse, oder eine eigene Therapie, sollte berücksichtigt werden. M.S. sei zuvor nicht im Straßenverkehr aufgefallen, E.P. jedoch öfter und einschlägig. E.P. sollte daher zusätzlich für fünf Jahre und M.S. für 2,5 Jahre die Fahrerlaubnis entzogen werden, unter der Annahme, dass eine Haft schon resozialisierende Effekte hätte.

Die Nebenklage, welche die Eltern der beiden verstorbenen Kinder vertritt, konnte und wollte nicht emotionslos plädieren. „Warum tun die Eltern sich hier jeden Prozesstag an? Sie suchen Antworten! Ein Warum! Jemand muss für den Tod der Kinder bestraft werden, die Eltern haben bereits lebenslänglich bekommen!“, so Jens Kastner, Anwalt. Es mache keinen Sinn, mit 180 durch eine 70 Zone zu fahren, um dann in eine unübersichtliche Kurve zu fahren. Auf einer Landstraße habe man mit Gegenverkehr, auch Fußgängern und Radfahrern zu rechnen. „Opfer wurden hier in Kauf genommen. Wer ist denn hilfloser als zwei angeschnallte Kinder?“ Die Nebenklage bedauerte, dass das Gericht keinen Mord erkennen kann. „Es bleibt die Frage nach Gerechtigkeit, die wird es nicht geben.“ So fordert die Nebenklage die Maximalen zehn Jahre Haft für ein Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge für E.P. und nicht unter sieben Jahren für M.S. „Was müsste denn mehr passieren, um den vollen gesetzlichen Rahmen auszuschöpfen“, fragte die Nebenklage abschließend.

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Auch die Verteidigung ging nur auf die Vorwürfe des tödlichen Kraftfahrzeugrennens ein. Vor ihren Plädoyers drückten die Verteidiger ihr Mitgefühl für die Eltern aus. „Menschlich fühlten sie mit ihnen, beruflich müssten sie ohne Emotionen auf die Sachlage schauen, um ihre Mandanten zu vertreten. „Juristisch gibt es keine gerechte Strafe für zwei verstobene Kinder, doch wir müssen uns fragen, ob es wirklich ein Rennen war“, begannen Silke Willig und Yana Tchelpanova, Verteidigung E.P. Sie erläuterten noch einmal die Fahrtwege und Beschleunigungen, zweifelten die Rennabsicht an und das E.P. über die ganze Strecke 180 fuhr. Dies sei nur die Spitze in den letzten Sekunden gewesen, als ihre Mandantin schon ausweichen wollte. Die Zuhörer im Raum sollten sich gedanklich in den Wagen von E.P. versetzen, um ein Gefühl für die Zeiten zu bekommen. Der Richter verzieht einen Mundwinkel. Es sei unstrittig, dass E.P. mit der weiteren Beschleunigung die falsche Entscheidung getroffen habe, eine Entscheidung innerhalb weniger Sekunden. E.P. habe durch den Unfall nicht nur eine andere Familie zerstört, sondern auch ihre eigene. Die 17-jährige Tochter sei mit ihrem Kind in einer Mutter-Kind-Einrichtung, der 17-Jährige Sohn im Heim. Die 14-jährige Tochter alleine nach Polen abgehauen, genauer Aufenthalt derzeit unbekannt. Die sechs Monate in U-Haft würden ihre Angeklagte stark belasten. „Es ist am Ende ein trauriges Überholmanöver, dass völlig aus dem Ruder gelaufen ist, aber es war kein Straßenrennen.“ Einen Antrag für eine Strafe stellten sie nicht, forderten aber ein „mildes Urteil“ vom Gericht und das die Untersuchungshaft aufgehoben werde.

„Es ist mein schwerstes Plädoyers in meiner 20-jährigen Berufslaufbahn“, begann die Verteidigung von M.S. Doch sie fragten auch nach der juristischen Schuld ihres Mandanten, die auch zu beweisen sei. „Er hat selbst angegeben, dass er mit 120 zu schnell war. Aber ist ein Raser schon ein Rennfahrer?“ M.S. habe freie Sicht gehabt, kam ohne Schäden am Fahrzeug aus der Situation was zeige, er konnte vor der Kurve bremsen. „Ohne die überholende E.P. wäre nichts geschehen. Welchen Anteil der Schuld hat unser Mandant?“ Auch sie zweifelten weiter die Geschwindigkeit von 180 Km/h an und das M.S. genauso schnell wie E.P. war. Die Zeugen seien in ihren Aussagen zu ungenau und unterschiedlich gewesen. „Ja, M.S. war zu schnell, und er und E.P. waren auch mal auf gleicher Höhe, doch ist das ein Rennen?“ Die Verteidigung sieht es als nicht bewiesen an, dass M.S. ein Rennen wollte und auf eines eingegangen ist. „Im Zweifel für den Angeklagten!“ Die Verteidiger forderten daher einen Freispruch. Wenn das Gericht jedoch eine Rennbeteiligung von M.S. erkennen will, könne aufgrund des geringen Schuldanteils nur eine Bewährungsstrafe von maximal zwei Jahren erfolgen. „Unser Mandant war schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort und wurde in eine Situation gezwungen, die er nie wollte, aber womit er nun leben muss.“

Zum Abschluss beteuerten sowohl E.P. als auch M.S. noch einmal, dass sie kein Rennen gefahren sind.

Der Richter zeigte sich nach den langen Plädoyers zufrieden mit seiner Entscheidung, ein Urteil erst am 17. April zu fällen. „Wir brauchen die Zeit, um alle juristischen Probleme entsprechend zu behandeln, um dann ein Urteil zu finden. Auch wenn das die Angeklagten und noch viel mehr die Eltern belaste.“

Weiter geht es somit am 17. April. Das Urteil soll um 12 Uhr im Landgericht verkündet werden.