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Kirchdorfer Rehr: Opferte sich die Angeklagte für ihre Kinder auf?

Im Hintergrund wird die Angeklagte E. P. (hinter gelber Akte) hereingeführt, vorne in der Mitte sitzt der zweite Angeklagte M. S. (verpixelt)

Hannover / Kirchdorf. Der heutige sechste Prozesstag zum Unfall Kirchdorfer Rehr vor dem Landgericht Hannover soll Erkenntnisse über die psychische Situation der Angeklagten bringen. Dazu sind zwei Gutachter - einer von der Verteidigung, einer vom Gericht - bestellt worden, die ihre Erkenntnisse vortragen. Außerdem hatte die Verteidigung der E. P. noch einen Überraschungszeugen dabei.

Therapeutin: "Stabilisieren stand im Vordergrund - lebensfähig halten" - Unfall war kaum Thema in 15 Sitzungen

Den Anfang machte auf Wunsch der Verteidigung eine 74-jährige Psychotherapeutin aus Barsinghausen, bei der die Angeklagte E. P. seit dem Unfall auf Anraten ihres Anwaltes in Behandlung ist, 15 Sitzungen wurden in dem einen Jahr inzwischen durchgeführt - alle ohne Dolmetscher. Sie weise eine post-traumatische Belastungsstörung und Trauma-Reaktionen auf. Möglicherweise, so die Therapeutin, habe sie eine Amnesie zu dem Unfall. Ãœber den Vorfall selbst hätten die beiden nur wenig gesprochen. "Stabilisieren stand im Vordergrund - lebensfähig halten", beschrieb die 74-Jährige ihre Aufgabe. Die E. P. habe nur berichtet, sie habe nur ganz kurz das andere Auto überholen wollen, dann habe der andere Fahrer Gas gegeben, sie daraufhin auch erneut um schnell an ihm vorbeizukommen - und dann habe es geknallt. Es sei in der Behandlung eher um die Folgen aus dem Unfall gegangen: Flashbacks im Schlaf, Schlafstörungen, Alpträume und Suizidgedanken. "Sie hat ständig geweint und kam aus ihrer Traurigkeit nicht heraus", daher habe sie den Ansatz gewählt, zunächst mit den akuten Problemen umzugehen. 

Der Passat-Zeuge mit dem geliehenen Kaufpreis

Die Verteidigung benannte sodann einen weiteren Zeugen, 50 Jahre, aus Hannover, mit dem die E. P. bereits seit zehn Jahren befreundet sei. Für ihn hatte sie nach dem Unfall nach eigenen Angaben den 33.000-Euro-Passat gekauft und ein Jahr lang die Versicherung im Voraus bezahlt. Die Staatsanwaltschaft nimmt an, dass die E. P. - trotz Entzugs des Führerscheins - nach dem Unfall auch mit dem Passat als Fahrerin unterwegs war. Daher ermahnte der Richter zu Beginn: "Falls Sie sich strafbar gemacht haben durch das Ãœberlassen eines Kraftfahrzeugs an die Angeklagte, müssen sie nicht aussagen. Wenn Sie aussagen, muss es aber die Wahrheit sein". Zuerst hatte der Richter Fragen zum Kauf des besagten VW nach dem Unfall. Der Zeuge versicherte, dass sie das Geld nur für ihn als Darlehen bezahlt hätte, da ihm die Mittel dazu fehlten. Er zahle aber die 33.000 Euro zurück, etwa 15.000 Euro habe die E. P. bereits erhalten. Auf die Nachfrage, ob er die Zahlungen genau und mit Datum und Summen belegen könne, antwortete der Zeuge, dass er mal 500 oder 1000 Euro gezahlt hätte, auch an die Kinder der E. P. als diese in Untersuchungshaft war. Auch der Ehemann habe Geldsummen bekommen, nachdem dieser aus dem Gefängnis gekommen war. 

Die schwerbehinderte Tante stand für den Passat gerade

Im Rahmen der weiteren Ermittlungen war die Polizei eben auch auf den Kauf des Passats durch die E. P. aufmerksam geworden und stellte Nachforschungen an. Dabei kam heraus, dass der Wagen weder auf die E. P. noch auf den Zeugen zugelassen war, sondern auf dessen schwerbehinderte Tante: "Um Steuern zu sparen", versicherte der 50-Jährige. Die ständigen Nachfragen der Polizei bei ihm und seiner Tante hätten ihn jedoch so sehr gestört, dass er den Wagen "mit Verlust für 26.000 Euro an irgendwelche Russen verkauft" habe. 

Zeuge beschreibt familiäre Probleme: "Mir war klar: die klappt irgendwann zusammen"

Grundsätzlich sei die E. P. eine zügige Fahrerin, sie seien auch schon gemeinsam gefahren, auch schonmal nach Polen. Außerdem habe sie alles für ihre Kinder getan, sie sei keine schlechte Mutter, hatte aber immer Probleme mit den Kindern. Eine Tochter sei mit 16 schwanger geworden, die jüngere Schwester kiffte regelmäßig als die Familie noch in Mühlenberg in Hannover wohnte. Regelmäßig seien Polizei und Jugendamt vor Ort gewesen, es habe auch eine Hausdurchsuchung in Verbindung mit der Festnahme des Vaters der Kinder gegeben. Die E. P. sei dann nach Barsinghausen gezogen, dort seien die Kinder dann nicht mehr regelmäßig zur Schule gegangen, wodurch Strafen von mehreren Tausend Euro fällig geworden wären. Die Angeklagte hätte daraufhin noch mehr Überstunden und Nachtschichten geleistet, um alles bezahlen zu können. "Mein Eindruck war, die klappt irgendwann zusammen. Die ist nur zwischen Arbeit und zuhause hin und her - wie ein Roboter". Auf die Nachfrage zu dem Unfall sagte der Zeuge: "Da muss sie nicht ganz da gewesen sein."

Als nächstes wird das psychologische Gutachten der Angeklagten durch den vom Gericht bestellten Experten vorgetragen. Wir berichten darüber zu einem späteren Zeitpunkt.