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Kirchdorfer Rehr: Richter gibt erste Einschätzung zum Prozess-Ausgang

Hannover / Kirchdorf. Nachdem heute ein weiterer Zeuge vor dem Landgericht gehört wurde, der die wegen Mordes Angeklagte E. P. im August 2022 fahren gesehen hat, gab Richter Martin Grote eine erste Einschätzung, zu welcher augenblicklichen Bewertung des Prozesses die 13. große Strafkammer als Schwurgericht gekommen ist.

Ein 39-jähriger Arbeitskollege der E. P. sagte vor Gericht aus, dass er die Angeklagte am 25. August 2022 mit einem silbernen Volkswagen auf dem Parkplatz der Arbeitgeberin hat fahren sehen. Nach wenigen Minuten war die Aussage beendet.

Keine Hinweise auf abgesprochenes Rennen

Für Überraschung sorgte der Vorsitzende Richter Dr. Martin Grote als er sodann eine erste Bewertung der Anklage und damit auch des Prozess-Ausgangs ankündigte. Die Strafkammer hatte den für vergangenen Freitag angesetzten öffentlichen Verhandlungstermin aufgehoben und sich stattdessen intern beraten. "Es gibt keine Hinweise auf ein abgesprochenes Rennen", wurde Grote deutlich. Die Angeklagte sei nach Auffassung des Gerichts nicht vor 16 Uhr von ihrer Arbeitsstelle in Wennigsen weggefahren, somit könne sie nach Einschätzung des Gerichts wohl auch kaum in der Osterstraße in Barsinghausen zum bezeugten Termin gewesen sein.

"Wenn wir keinen Mord erkennen, können wir natürlich auch keine Beihilfe zum Mord erkennen"

"Bei der Fragestellung: ´War es Mord?´ muss man prüfen, gab es ein Wissen und gab es ein Wollen", führte der Vorsitzende weiter aus. Ja, die Angeklagte habe bis zum Schluss Gas gegeben und hätte damit rechnen müssen, dass andere Schaden nehmen. "Aber das Wollen kann die Kammer nicht erkennen". Die Angeklagte habe sich sogar in eine extrem hohe Eigengefährung begeben. Das sei ein markanter Unterschied zu dem Mord-Urteil in einem Berliner Prozess gewesen. Auch habe die Angeklagte keine suizidale Absicht gehabt, sie sei Mutter und müsse sich auch um ihre Kinder kümmern, da ihr Ehemann dem nicht nachkomme. "Sie hatte kein Bestreben, selber Schaden zu nehmen", fasste der Richter zusammen und verwies auch auf Schwenkbewegungen am Lenkrad, die darauf hindeuteten, dass die Angeklagte ausweichen wollte. Ja, die Angeklagte neige zu hoher Selbstüberschätzung, fahre mitunter riskant. Aber sie und der wegen Beihilfe zum Mord Angeklagte M. S. kannten sich nicht, waren in keiner einschlägigen Szene unterwegs und hätten somit auch nicht ihr Gesicht verlieren können. "Wir erkennen die Gefährlichkeit und die absurd hohe Geschwindigkeit. Aber wir erkennen keinen Vorsatz. Andere Ãœberholversuche hatten in der Vergangenheit immer geklappt", berichtete der Vorsitzende weiter. Auf den § 315 d wollte Grote nicht weiter eingehen - er sieht bei einem Rennen mit Todesfolge bis zu zehn Jahre Haft vor. "Wenn wir keinen Mord erkennen, können wir natürlich auch keine Beihilfe zum Mord erkennen". 

Es ist eine Frage der Wertung

Nach der Verhandlung meldete sich der Anwalt der Nebenkläger, der Eltern der beiden getöteten Jungen, zu Wort. Jens Kastner erklärte, dass es für die Eltern sehr enttäuschend sei, dass das Gericht aktuell keinen Mord erkennen kann. Juristisch sei das möglicherweise nachvollziehbar, emotional aber nicht: "Wenn jemand mit über 180 kmh in eine uneinsehbare Kurve fährt, ist es schwer zu aktzeptieren, wenn das Urteil gering ausfällt". Der Anwalt schob nach, dass das sowohl für die Eltern schwer zu fassen sei, aber auch für das Publikum im Gericht nicht: "Am Ende ist es eine Frage der Wertung, aber wenn das Strafrecht immer weiter geschliffen wird, wird es schwer, von einem Urteil ´im Namen des Volkes´ zu sprechen". Positiv sah der Anwalt, dass die Angeklagte weiter in Untersuchungshaft bleibe. Bei einem Kraftfahrzeugrennen mit tödlichem Ausgang könne man immerhin mit fünf bis sechs Jahren Haft rechnen.

Wie geht es weiter?

Am Donnerstag soll eventuell ein weiterer Gutachter gehört werden, außerdem sind bereits die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung von M. S. vorgesehen. Zu prüfen sei dann, ob am 30. März nur das Plädoyer der Verteidigung von E. P. erfolge oder auch bereits das Urteil - oder dafür ein gesonderter Termin fällig werde.

Sollte das Urteil am Ende zu hoch oder zu mild ausfallen, so schätzt Jens Kastner, werde wohl der Bundesgerichtshof in der Sache entscheiden. "Einer von beiden wird dazu in Revision oder Berufung gehen - Staatsanwaltschaft oder Verteidigung".