Barsinghausen. Barsinghausens Partnerstadt ist in der vergangenen Woche erneut zum Ziel eines Raketenangriffs geworden. Dabei ist die Versorgung mit Strom und Wasser wie bereits zuvor schon in Teilen Kovels für einige Stunden zum Erliegen gekommen. Aktuell leidet die Bevölkerung immer noch in einigen Teilen der Stadt unter den Folgen der Angriffe, weil an einzelnen Tagen und in einzelnen Straßenzügen der Strom abgeschaltet wird..
Die Stadtverwaltung hat in Kovel den dortigen Medien zufolge vier Versorgungszentren eröffnet. Dort können die Bürger ihre Mobiltelefone aufladen, bekommen warme Getränke ausgeschenkt und können sich aufwärmen. Auch einige Unternehmen wie Baumärkte bieten der Bevölkerung an, zu den Geschäftszeiten die Akkus der Handys aufzuladen. „Es ist immer wieder zu spüren, dass in solchen Momenten die Bevölkerung in Kovel enger zusammenrückt und eine überwältigende Hilfsbereitschaft besteht“, sagt Julia Lys, die aus Kovel stammt und deren Familie dort lebt.
Bei den Menschen in Kovel wie auch bei deren Verwandten und Freunden in Barsinghausen herrscht große Sorge. „Wir stehen deshalb mit ihnen in ständigem Austausch“, sagt Lilli Bischoff vom Verein Kinderhilfe Ukraine. Von Verletzten und Toten durch die Luftangriffe sei ihr und ihrem Vereinskollegen Peter Messing nichts bekannt. Offenbar seien wieder die Versorgungseinrichtungen das Ziel der Raketen gewesen.
Auch bei Peter Messing, der seit Jahren in den Sommerferien junge Gäste aus der Partnerstadt bei sich aufnimmt, und Julia Lys, deren Bruder in der Stadtverwaltung Kovel arbeitet, ist dies der Fall. Sie telefonieren und schreiben regelmäßig mit ihren Angehörigen und Freunden in Kovel, ergänzen die beiden Barsinghäuser. Die Sorge um die Familie und Freunde begleite sie seit Tagen, auch weil es immer wieder in Kovel zu Sirenengeheul komme. „Ende der vergangenen Woche galt stundenlang Alarm und die Menschen sollten Schutzräume aufsuchen“, berichtet Peter Messing aus einem Gespräch mit den Mädchen.
„Natürlich haben die Menschen in Kovel Angst um das eigene und das Leben der Angehörigen“, beschreibt Lilli Bischoff die Gefühlswelt vieler Bürger weiter. In manchen Gesprächsmomenten seien auf der anderen Seite der Telefonleitung auch Tränen geflossen. Geschürt werde diese Angst durch die häufigen Warnungen vor Luftangriffen mittels Sirenen. „Unsere Freunde berichten, dass dieser Alarm manchmal mehrere Stunden andauert“, unterstreicht die Vereinsvorsitzende. Ihr haben Bekannte davon berichtet, dass einige Familien ihre Kinder aufs Land gebracht hätten, weil dort die Gefahr vor Luftangriffen geringer wäre.
Dieses eine Gefühlsextrem aus Angst und Ohnmacht wechselt sich den Worten Julia Lys zufolge dann innerhalb kurzer Zeit bei vielen Menschen in Kovel mit einem anderen Extrem ab. „Die Menschen dort haben einen ungebrochenen Siegeswillen und eine große Zuversicht. Darin mischt sich manchmal auch der Hass auf die Angreifer“, beschreibt sie die Empfindungen. „Die Menschen in Kovel sehen in den Angriffen auf die Versorgungseinrichtungen den Versuch der russischen Streitkräfte, den Durchhaltewillen der Bevölkerung zu brechen. Ich glaube nicht, dass ihnen dies gelingen wird“, schildert Julia Lys.
Dies hänge auch damit zusammen, dass die Bürger seit Beginn des Angriffs enger zusammengerückt sind. „Im Vergleich zu früher hat der Zusammenhalt in der Bevölkerung enorm zugenommen. Es ist oftmals egal, wer um Hilfe bittet, die Menschen in Kovel helfen sich einfach – unabhängig, ob sie das Gegenüber kennen oder nicht“, ergänzt Julia Lys. Zudem sorge die Unterstützung aus Barsinghausen und den anderen Partnerstädten für Motivationsschübe, wenn die Stimmung zu kippen drohe. Just als in der vergangenen Woche der jüngste Hilfstransport Kovel erreicht habe, hätten die Sirenen angefangen zu heulen. „Die Mitarbeitern haben sich zwar in die Schutzräume flüchten müssen, doch sobald der Alarm aufgehoben war, haben sie mit dem Entladen des Lastwagens begonnen“, sagt Lilli Bischoff.
Wie Barsinghausens Bürgermeister Henning Schünhof ergänzt, befinden sich viele Menschen in Kovel seit Monaten in einem seelischen Ausnahmezustand. „Wer die Meldungen in den Medien in unserer Partnerstadt verfolgt, findet dort auch immer wieder Anzeigen, in denen Angehörige um einen gefallenen Bruder, Vater, Onkel oder Sohn trauern. Auch in den Gesprächen mit meinem Amtskollegen Igor Chaika und dessen Briefen und E-Mails kommt zum Ausdruck, welche psychische Last auf den Menschen liegt.“ Aus diesem Grund werden er und seine Mitarbeiter sich auch weiterhin für die Unterstützung der Menschen vor Ort einsetzen. „Wenn jetzt auch noch diese Hilfe zu erliegen kommt, dann wäre das aus meiner Sicht ein weiterer Rückschlag, zumal Igor Chaika mehrmals betont hat, dass Hilfe von übergeordneten Stellen in der Ukraine nur spärlich kommt, da sich die staatlichen Organe auf die Landesverteidigung fokussiert haben.“
Gleichwohl glaubt auch Kovels Verwaltungschef daran, dass die Ukraine dem Gegner standhalten kann. „In den Gesprächen ist sehr deutlich zu spüren, dass Igor Chaika und seine Mitarbeiter einen enormen und ungebrochenen Siegeswillen haben“, führt Henning Schünhof weiter aus. Er selbst habe bei seinem Amtskollegen allen Widrigkeiten und seelischen Belastungen zum Trotz keinen Moment der Verzweiflung oder der Hoffnungslosigkeit gespürt.
Für die Unterstützung der Menschen in Kovel hat die Stadtverwaltung ein Spendenkonto mit der Nummer IBAN DE29 2515 1270 0000 2686 49 eingerichtet. Die dort eingehenden Beträge werden unter anderem für den Transport der Hilfsgüter nach Kovel, die Beschaffung dringend benötigter Medikamente und von lagerfähigen Nahrungsmitteln genutzt. Darüber hinaus können Spenden auch in der von der Stadt angemieteten Lagerhalle, Bunsenstraße 27, in Barsinghausen montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr und samstags von 10 bis 14 Uhr abgegeben werden. Darüber hinaus arbeiten die Stadtverwaltung und der Barsinghäuser Ortsverein des Deutschen Roten Kreuzes bei der Sammlung abgelegter Kleidungsstücke zusammen. Diese können montags bis freitags in den DRK-Shops im Rathaus II am Deisterplatz und an der Osterstraße abgegeben werden.