Gehrden.
as Reformationsjubiläum 2017, 500 Jahre nach Luther, motivierte den Gehrdener Kirchenvorstand um Pastor Wichard von Heyden, Pastor Dieter Rudolph und die Vorsitzende Dorothea von Schlotheim eine Feierstunde im Bürgersaal des Rathauses einzurichten.
Als prominenten Gast und Festredner konnten die gut 170 Gäste und Mitglieder der Margarethengemeinde den Altbundespräsidenten Christian Wulff begrüssen. Alles war vorbereitet: Die Evangelische Jugend stand mit einer zehnköpfigen Mannschaft bereit, die Gäste mit Sekt, Saft und Selters zu bewirten. Die Gehrdener Konzertpianistin Janina Koeppen hatte passend zum Thema drei sehr unterschiedliche Stücke ausgewählt, mit denen sie die Zuhörer begeisterte. Beginnend mit einem Stück aus dem Wohltemperierten Klavier Johann Sebastian Bachs, ging es über die brillant vorgetragene Revolutionsetüde des russischen Komponisten Skrjabin hin zu einer liebevoll und warm empfundenen Eigenkomposition der Pianistin.
Der stellvertretende Bürgermeister Heinrich Meinecke, der im Auftrag des Bürgermeisters die Gäste und den Festredner seitens der Stadt begrüßte, erinnerte Wulff an frühere Besuche, die er als Ministerpräsident in Gehrden gemacht hatte.
Pastor Wichard v. Heyden wies in seiner Begrüßung auf die Bedeutung der christlichen Botschaft für ein Land hin, das sich häufig als christlich-jüdische Wertegemeinschaft unter dem Vorzeichen der Aufklärung sieht. Daher biete der Reformationstag den Impuls, nachzufragen, was das für das öffentliche politische Leben heute bedeuten könne.
Christian Wulff schloss sich gleich zu Beginn seiner Rede daran an. Er wies auf die Bedeutung Luthers hin, der sich zu seiner Zeit der modernsten Kommunikationsmittel, nämlich des Buchdrucks, bedient hatte. Die Bedeutung des Internets heute war dann auch eines der wichtigen Themen mit Blick auf die Zukunft. Denn so sehr das Internet eine positive Rolle beim arabischen Frühling gespielt habe, so sehr seien eben dieselben Facebook-Foren wiederum genutzt worden, um kurz anschließend mit Missgunst, Hass und apokalyptischen Ideologien die Gesellschaft zu spalten. Es sei dagegen wichtig, Diskussionen nicht nur virtuell zu führen, sondern von Angesicht zu Angesicht. Es brauche den Mut, sich wieder »Kuratoren« zu leisten, also Menschen, die dafür sorgen, dass Informationen gut recherchiert und gewichtet zur Verfügung gestellt werden, damit eine Einordnung der Dinge möglich wird. Damit spielte Wulff auf die Bedeutung der Presse und ihrer Freiheit hin.
Insgesamt sei das westliche Demokratiemodell derzeit weltweit unter Druck. Die Vorstellung von Politikern in der Türkei oder anderswo, dass die Entscheidung der Mehrheit an sich schon Demokratie sei, sei aus westlicher Sicht falsch. Denn es gehöre immer auch der Schutz und Respekt der Minderheitsmeinungen, Pressefreiheit und eine unabhängige Justiz dazu, um Willkür zu vermeiden. In seiner Analyse der nachlassenden Strahlkraft westlicher Demokratie führte er drei Punkte an. Zum einen sei es der Terror, der uns im wesentlichen von außen bedroht und der dann siegreich ist, wenn er die freien Gesellschaften zu Überreaktionen bewegt. Zum anderen sei es die Globalisierung, die zwar einerseits weltweit Armut bekämpft und Ungleichheiten verringert habe. Gleichzeitig gebe es aber auch viele Verlierer. Dieses nicht im Blick gehabt zu haben, sei ein Fehler der Vergangenheit, der in der Gegenwart und Zukunft berücksichtigt werden müsse. Schließlich die schon genannte Digitalisierung, die wiederum Chance und Risiko zugleich sei.
Wulff bat die Anwesenden, Position zu beziehen, wenn im Umfeld Weltuntergangsstimmungen produziert würden. Wenn der Eindruck hervorgerufen würde, der Untergang des Abendlandes stünde unweigerlich bevor oder ein Kampf der Kulturen sei unausweichlich, dann werde das Gift von Spaltung, Egoismus und krankhaftem Nationalismus ausgegossen. Das könne nur verhindert werden, wenn immer wieder Menschen Kraft und Mut hätten, begründet ihre eigene Position dagegen zu halten.
Im Anschluss an seinen Vortrag blieb Wulff noch eine knappe Stunde beim Empfang der Gemeinde und viele der anwesenden Gemeindeglieder und Gäste hatten die Möglichkeit, direkt eigene Fragen und Positionen mit ihm zu besprechen.
Für die Organisatoren der Kirchengemeinde war dies sicher ein Glanzpunkt des nun zu Ende gehenden Reformations-Jubiläumsjahres. Das Publikum, das von Kleinkindern und jungen Familien bis hin zur älteren Generation reichte, meldete zahlreiche positive Reaktionen zurück.